13 05 17 — 13:33
Unsere heutige Welt scheint in Bezug auf Produktion, Handel und Konsumverhalten grenzenlos zu sein. Vom exotischsten Obst zu jeder Jahreszeit bis hin zu den neuesten Trends aus den verschiedensten Ländern werden Waren global vertrieben. Die Logik der globalen Produktion und des globalen Vertriebs lässt sich in vielen Bereichen unserer direkten Umgebung wahrnehmen. Von dieser Beobachtung ausgehend stellt sich die Frage, wie sich dieser Aspekt der Globalisierung bei Wittenberger Produkten zeigt.
Ähnlich wie in einem Marktstand sind im WIEN_PALAST drei Lebensmittel zu finden. Es sind: Die nach dem bekanntesten Sohn der Stadt benannte Luther Tomate, die traditionsreichen Wikana (Bio-)Kekse und die aus den goldgelben Rapsfeldern gewonnene Margarine des multinationalen Konzerns Unilever.
Exemplarisch für die Untersuchung geografischer Grenzüberschreitungen von Produktions- und Handelsketten, Inhaltsstoffen und Verpackungen bei Lebensmitteln, werden die drei Produkte aus Wittenberg – Margarine, Keks und Tomate – genauer in den Blick genommen. Im WIEN_PALAST werden die Implikationen der global/lokalen Ökonomie dieser Erzeugnisse dargestellt und visualisiert. Der gläserne Kubus wird dabei zum Gewächshaus, zur Wäscherei und zur Siegelstube.
Die Lebensmittelindustrie gehört zu den wenigen Sektoren, die nach wie vor steigende Profite verzeichnen kann, weil ihre Produkte auf billigen Rohstoffen basieren und durch bedürfniserzeugende, emotionsweckende, zunehmend auch umweltverträgliche Verpackungen teuer verkauft werden. So beinhalten zum Beispiel die Wikana Bio-Kekse aus Wittenberg viele Rohstoffe aus dem globalen Süden, werden aber im reichen Norden hergestellt und nach Japan und Australien exportiert. Allgemein blüht der Handel mit dem Heilsversprechen für Verträglichkeit bezüglich Umwelt, Tieren und uns selbst. (Heidtmann 2016: 4) Doch was bedeutet Verträglichkeit? Profitgetriebene Unternehmen sind in den letzten Jahren zunehmender Kritik an ihren prekären Produktions- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt und betreiben daher nicht selten unter dem Deckmantel gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme „Greenwashing“. Dies führt dazu, dass selbst bei Waren, die mit nachhaltigen Qualitätsstandards, Bio-Siegel und anderen Zertifikaten ausgezeichnet sind, es fortan bei den Konsument_innen liegt, ob sie den Produzent_innen ihr Vertrauen entgegen bringen oder ob sie Unklarheiten, gesundheitsgefährdende Folgen und falsche Versprechen hinterfragen. Greenwashing gilt vor allem für die westliche Welt während in den Ländern des globalen Südens das Geschäftsmodell „Target the poor“ (Gassmann et al. 2016) fokussiert wird. Die Idee dahinter ist, billige Produkte in Kleinstverpackungen auf dem Markt dieser Zielländer anzubieten. Soll heißen: Arme Menschen konsumieren Produkte, die ihrem Einkommen und ihrem Geschmack angepasst werden.
Auch Saatgut ist ein weiteres „Objekt der Begierde“ einiger multinationaler Konzerne (Salzer 2013: 282). Die Tomate eignet sich zur Veranschaulichung der Vermarktung und Aneignung eines Gemeinguts. Ursprünglich auch „Paradiesapfel“ genannt, wurde sie erst Ende des 15. Jahrhunderts aus Süd- und Mittelamerika nach Europa importiert. Damals wurde das Kolonialprodukt mit religiösen Aspekten aufgeladen und aufgrund der roten Farbe und ihrer prallen Form mit dem Apfel der Erkenntnis in Verbindung gebracht (www.tomaten-welt.de).
Wie könnte ein Kratzen an der Nahrungsmittelproduktion, am Schönfärben glatter Warenoberflächen aussehen? Was ist schön? Was ist gut? Was schmeckt gut? Wir laden unsere Besucher_innen im Glaspalast dazu ein, die Grenzen ihres Geschmacks zu testen. Besucher_innen können Verpackungen von Wikana-Keksen sowie von Margarine von Unilever im Glaspalast abgeben. Es entsteht eine glokale Sammelstelle, in der diese grün gewaschen und anschließend mit dem Güte-Siegel des WIEN_PALASTS zertifiziert werden. Dabei nehmen wir auch die Siegel, die auf den Verpackungen stehen, genauer unter die Lupe. Man wird sehen, ob die grün verpackten Bio-Kekse dabei noch grüner werden. Tomaten und Tomatensamen gibt es ohne Siegel und verpackungsfrei in die Hand. In unserem gläsernen Gewächshaus steht die „Tomate für alle“ für die (Wieder-)Aneignung dieses Commons und im Weiteren für eine „Perspektivenverschiebung mit einem utopischen Element“ (Brand 2013: 50). Was bedeutet, dass in der Auseinandersetzung mit Commons, kapitalistische Dynamiken, die diese globalen sozialen Ungleichheiten erzeugen, mitgedacht werden müssen. Mit diesen partizipativen Aktionen und Installationen wollen wir zum einen auf das Heilsversprechen, das wir mit unseren westlichen Öko-Lebensstilen verbinden, zum anderen auf die durch die Globalisierung entstandenen undurchschaubaren Produktionsprozesse und deren Verstrickungen aufmerksam machen. (Heidtmann 2016: 4) Wirken Reinheitsbehauptungen nicht zuweilen ähnlich wie zeitgenössische Formulierungen von Ablassbriefen? Daher: Hinschauen, wenn Konzerne Reinheitsbehauptungen aufstellen, die oftmals mit unterschiedlichen habituellen Geschmackspräferenzen begründet werden. Und vor allem Hinschauen, wenn es um das Wissen über Lebensmittelerzeugung und -verteilung geht.
QUELLEN
Brand, Ulrich (2013): Let´s make a Commons World. Abschlussdiskussion der 9. Armutskonferenz. In: Die Armutskonferenz (Hg.): WAS ALLEN GEHÖRT. Commons – Neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung. Wien: Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes.
Gassmann, Oliver; Frankenberger, Karolin; Csik, Michaela (2016): Geschäftsmodelle entwickeln: 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator. München: Carl Hanser Verlag.
Heidtmann, Jan (2016): Ablasshandel – Bio-Lebensmittel. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 36, 13./14. Februar. München.
Salzer, Irmi (2013): Gutes Essen für alle! Keine Ernährungssouveränität ohne Commons. In: Die Armutskonferenz (Hg.): WAS ALLEN GEHÖRT. Commons – Neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung. Wien: Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes.