Natasha A. Kelly

Natasha A. Kelly ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin mit den Forschungsschwerpunkten (Post-)Kolonialismus und Feminismus.

Mehr Infos

29 06 17 — 19:14

Über Anton Wilhelms Amos Stellung am Hof in Wolfenbüttel wurde viel diskutiert. Seine Tätigkeit als so genannter „Hofmohr“ [sic!] ist jedoch unumstritten. Diese Fremdbezeichnung war charakteristisch für die feudale Mentalität seiner Zeit und damit ein typischer Ausdruck von rassistischer Diskriminierung. Der Begriff (nachfolgend mit M. abgekürzt) hatte ursprünglich eine religiöse Bedeutung und bezeichnete alle Menschen, die nicht-christlichen Glaubens waren. Mit der Formierung des Rassismus wandelte sich diese Bedeutung jedoch und bezeichnete fortan Menschen mit dunkler (Haut-)Farbe. Es wurde von den Europäer_innen angenommen, dass alle afrikanischen Menschen ohne Glauben seien, und daher dunkler Haut waren.

Diese Wortbedeutung hat sich bis heute durchgesetzt, wobei gelegentlich eine Verbindung zum Arabischen hergestellt wird. Dies zeigt sich exemplarisch im Logo des „Sarotti-M.“, das unmittelbar mit dem Verlust der deutschen Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg auf Verpackungen der „Sarotti-Schokolade“ auftauchte. Dieses deutschlandweit bekannte Logo hat dazu geführt, dass der „M.“ im Allgemeinen mit dem Tragen eines Turbans und Pluderhosen oder eines Lendenschurzes, wie ihn der „Hofm.“ trug, stereotypisiert wird. Letzteres symbolisiert die Dienerfunktion, die afrikanische Menschen während der Versklavung und im Kolonialismus inne hatten.

Hier reiht sich auch die Redewendung: „Der M. hat seine Schuldigkeit getan“ ein, d.h. der Versklavte hat ausgedient; getan, was zu tun war. Gleichzeitig wird die ursprünglich christlich-religiöse Bedeutung betont und eine „Sünde“ oder „Schuld“ des Dunkelhäutigen angenommen. Dies manifestiert sich auch in dem Ausdruck „M.wäsche“. Es wird der Versuch unternommen, einen „schuldigen“ (dunkelhäutigen) Menschen „rein zu waschen“ oder auch „weißzuwaschen“. Gleichzeitig wird die negative Konnotation der Farbe „schwarz“ (und die positive Besetzung der Farbe „weiß“) zum Ausdruck gebracht, auf Menschen übertragen und mit (Haut-)Farbe in Verbindung gebracht. Die Verschränkung von „Hautfarbe“ und „Glaube“ wird hier deutlich und prägt bis heute die weiße europäische Denkweise, wobei es für Weiße keine entsprechenden Wortschöpfungen gibt. Niemand sagt „Bleichgesichtköpfe“ oder „Weißenkopf“ für helles Gebäck oder Schaumgebäck aus weißer Schokolade. Dies ist ein Beleg dafür, dass der Begriff in seiner Entstehung und Entwicklung eine Bezugnahme auf „Rasse“ nahm und eine rassistische Hierarchie zu bestätigten versuchte, an dessen Spitze die weißen Europäer_innen standen.

Am Hof in Wolfenbüttel verrichtete Amo Dienertätigkeiten, für die er entlohnt wurde. Den Belegen zufolge erhielt er ab Ostern 1716 als er 16 Jahre alt wurde eine Besoldung. Die letzte belegbare Auszahlung erfolgte am 28.11.1721. Wovon er später lebte und wie er sein Studium finanzierte, ist unbekannt. Doch vor und außer ihm ist es bekannt, dass es mehrere Menschen aus Afrika gab, die an Kurfürstenhöfen als Diener_innen und dekorative Vasallen ohne jeglichen Rechtschutz gehalten wurden. Dies mag Amo Anlass geboten haben in seiner Disputation „De jure maurorum in Europa“ („Von den Rechten der Schwarzen in Europa“) die miserable Lage der in Europa lebenden Afrikaner_innen zu kritisieren. Bereits 1671 bezeichnete der Begründer der Quäker, George Fox die Versklavung als eine gravierende Verletzung der Menschenrechte. Doch der Begriff „Menschenrechte“ als angeborene, unveräußerliche und unantastbare Rechte und Würden wurde erstmals 1776 in der Unabhängigkeitserklärung der Amerikas deutlich formuliert und nach der Französischen Revolution 1789 dokumentiert. Erst im Jahr 2001 als Ergebnis der Weltkonferenz gegen Rassismus, die in Durban, Südafrika stattfand, wurden der vermeintliche „Sklavenhandel“ und die jahrhundertlange Versklavung von afrikanischen Menschen als Verbrechen gegen die Menschheit anerkannt.

Es ist kein Geheimnis, dass das Wolfenbütteler und andere Königs- und Kurfürstenhäuser in die Versklavung von afrikanischen Menschen tief verwickelt waren. Auf dem so genannten „Sklavenmarkt“ in Leipzig hatte Herzog August von Wolfenbüttel zwei Afrikaner für jeweils 50 Taler erworben; in Berlin hatte Friedrich Wilhelm I. aus dem Haus Hohenzollern von den Holländer_innen „M.en“ erhalten. Unklar ist, ob die Benennung der „M-Straße“ im Berliner Ortsteil Mitte auf diesen „Handel“ zurückgeht. Im Berliner Stadtplan von 1710 ist die „M-Straße“ bereits namentlich verzeichnet. Fakt ist, dass rassistische Bezeichnungen von Straßen oder Apotheken vollkommen verzichtbar sind. Vielmehr ist die Beibehaltung dieses Straßennamens Ausdruck einer mangelnden Aufarbeitung von europäischem und deutschem Rassismus und Kolonialismus. Um den historischen Bezug der Straßenbenennung beizubehalten liegt es nahe, die Straße nach Anton Wilhelm Amo umzubenennen, um auf diese Weise alle versklavten Menschen in Deutschland und Europa Ehre zu gebühren.

Das vierte Straßenumbenennungsfest findet am 23. August 2017 um 17 Uhr am gleichnamigen U-Bahnhof in Berlin-Mitte statt und wird vom Bündnis Decolonize Berlin veranstaltet.

Natasha A. Kelly

Natasha A. Kelly ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin mit den Forschungsschwerpunkten (Post-)Kolonialismus und Feminismus. Die in London geborene und in Deutschland sozialisierte Panafrikanistin versteht sich selbst als „akademische Aktivistin“, die stets versucht Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Die Autorin und Dozentin hat an zahlreichen privaten und staatlichen Einrichtungen in Deutschland und Österreich gelehrt und referiert und ist seit vielen Jahren in der Schwarzen deutschen Community engagiert. Neben ihrer beratenden Tätigkeit für verschiedene Kunstinstitutionen ist sie Kuratorin der interaktiven Wanderausstellung EDEWA (www.edewa.info), die sich aus postkolonialer Perspektive mit Alltagsrassismus, Sexismus und Kolonialismus, insbesondere den Kolonialwarenhandel beschäftigt. Ihre Dissertationsschrift „AfroKultur – der Raum zwischen gestern und morgen“ ist 2016 im Unrast Verlag erschienen.

www.NatashaAKelly.com

Michaela Rotsch

Bildende Künstlerin, transdisziplinäre und -kulturelle Forschung mit arabesken Organisationsstrukturen und syntopischen Werkstrukturen.

michaelarotsch.com

* Der Prototyp der Glaskuben stammt aus der künstlerischen Werkstruktur SYNTOPIAN VAGABOND, die hier mit dem transkulturellen Projektansatz von GLASPALÄSTE durch die gemeinsame Rahmenstruktur der Glaskuben verbunden wird. Dadurch wird die Grenze zwischen Bildender Kunst und anderen kulturellen Bereichen ausgelotet.

syntopianvagabond.net

Michaela Rotsch

Fine artist, transdisciplinary and transcultural research with arabesque organisational structures and syntopic work structures.

michaelarotsch.com

* The prototype of the glass cubes comes from the artistic work structure SYNTOPIAN VAGABOND, which is linked here to the transcultural approach of GLASPALÄSTE through the common structure of the glass cubes. Thus the boundary between contemporary art and other cultural areas is explored.

syntopianvagabond.net

Irmtraud Voglmayr

Soziologin und Medienwissenschaftlerin, Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Stadt- und Raumforschung, Medien, Gender und Klasse.

Irmtraud Voglmayr

Sociologist and media theorist, focussing on research and teaching: city and urban planning, media, gender and class.

Juliane Zellner

Juliane Zellner studierte Theaterwissenschaft (M.A.) in München, Urban Studies (MSc.) in London und promoviert derzeit an der Hafencity Universität im Fachbereich Kultur der Metropolen.

Juliane Zellner

Juliane Zellner holds a degree in Theatre Studies (M.A.) from LMU Munich and a degree in Urban Studies (MSc) from UCL London.

Currently she is a PhD Candidate in the Department of Metropolitan Culture at the HCU Hamburg.