von Natasha A. Kelly
Seit 2015 gilt weltweit die „Internationale Dekade für Menschen afrikanischen Ursprungs“ (2015-2024), die von den Vereinten Nationen mit der Resolution 68/237 ins Leben gerufen wurde. Damit erkennt die internationale Gemeinschaft an, dass Menschen der afrikanischen Diaspora eine eigene Gruppe darstellen, deren Menschenrechte gefördert und geschützt werden müssen. Die Bezeichnung „afrikanische Diaspora“ benennt die Gesamtheit jener Menschen afrikanischer Herkunft, die geografisch nicht auf dem afrikanischen Kontinent leben. Dazu zählen Schwarze Menschen in Nordamerika, in der Karibik und in Südamerika ebenso wie Schwarze Menschen in Europa (z. B. Schwarze Deutsche oder Afrodeutsche), in Asien und der restlichen Welt.
Der gegenwärtige Stellenwert von Menschen afrikanischer Herkunft steht in Deutschland im Schatten einer kolonialen Vergangenheit, die immer noch weitgehend verdrängt wird. Dies hat zur Folge, dass die Existenz einer seit vielen Generationen in diesem Lande ansässigen afrikanischen Diaspora in gängigen Diskursen der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft bis heute entweder negiert oder aus verengter Perspektive betrachtet wird. Auch Deutschlands Verstrickungen in den transatlantischen Sklavenhandel sind vielen unbekannt. So war auch Anton Wilhelm Amo, der erste bekannte Schwarze deutsche Philosoph, selbst Opfer dieses frühen Menschenhandels gewesen, was sein späteres wissenschaftliches Erkenntnisinteresse erklären mag. Denn eine zentrale Forderung seiner Zeit lag im Kampf gegen Vorurteile und für die allgemeinen Menschenrechte, die in der Idee der rationalen Aufklärung verankert waren. So trat Amo, wie auch andere Philosoph_innen seiner Zeit, für eine radikale Veränderung der politischen und religiösen Mentalität sowie für eine universelle und zeitlose Moral und Ethik ein und wandte sich im Zuge dessen den Naturwissenschaften zu. Zu einer neuen Einsicht in das Wesen des Körpers und der Seele des Menschen verhalf ihm sein weiterführendes Studium der Physiologie, Psychologie und Medizin, das er 1730 in Wittenberg aufnahm.
Der AFRICAN DIASPORA_PALAST ist Anton Wilhelm Amo gewidmet. Sein Entstehen liegt dem sozialpolitischen Motiv zugrunde, Nichtwissen in Wissen zu überführen und den interessierten Besucher_innen der Glaspaläste mit dem frühen menschenrechtlichen Denken Anton Wilhelm Amos vertraut zu machen. Dabei soll verdeutlicht werden, dass der skrupellose und entwürdigende Umgang mit vermeintlich Fremden in Europa keine neue Erscheinung ist, sondern ein altes Phänomen, das fast drei Jahrhunderte überlebt hat. Gleichzeitig ist mit der Installation die Absicht verbunden, das Leben und Wirken von Amo zu erinnern. Denn nur, indem (im Sinne der Sankofa-Philosophie) die Vergangenheit von Schwarzen Menschen in Deutschland in die Gegenwart geholt wird, kann auch ihre Zukunft neu gestaltet werden.
Diese aus der Kultur der Ashanti überlieferte Geisteshaltung führte nicht nur in den 1960er Jahren viele Dekolonialisierungsprozesse auf dem afrikanischen Kontinent an, sondern war auch die Botschaft, die der fahrende Palast den Wittenbürger_innen überbrachte. Während einer Tour durch die Einkaufstrasse machte der AFRICAN DIASPORA_PALAST vor einer Baulücke in der Collegienstraße Halt und füllte dort (symbolisch) eine Leerstelle in der Stadt- und Weltgeschichte. Im Sinne Amos wurde in Begleitung der senegalesisch-deutschen Sängerin Lara Meïmouna Mbaye versucht, „die Ursache der Unwahrheit zu bestimmen“. Denn wenngleich der Rassismus im deutschen Kolonialismus zum legalen Ordnungssystem wurde, so steht eine Aufarbeitung und Bewusstmachung dessen noch aus. Rassismus bleibt ein struktureller Teil der deutschen Gesellschaft, was alle Ebenen durchzieht. Bei dem Abschlusskonzert unter der Gedenktafel von Anton Wilhelm Amo im Leucorea Innenhof wurde deutlich, dass Meïmounas Lieder wie Gedichte sind. Sie sang über Erfahrungen, die sie in ihrem Alltag als Schwarze Deutsche macht und mit anderen Menschen der afrikanischen Diaspora in Deutschland – auch Anton Wilhelm Amo – teilt.
Vor dem Hintergrund der Globalisierung liegt es nahe, nach einem respektvollen Umgang mit Menschen zu suchen, die eine Heimat in Deutschland gefunden haben. Stammte Amo biologisch und geografisch aus Afrika, so wuchs er in die europäische Lebenswelt hinein. Sein Entschluss zur Rückkehr nach Ghana wurde durch seine soziale Isolation in Deutschland angetrieben. Doch an seinem Geburtsort wieder angekommen, geriet er in eine geistige Einsamkeit, da er dort weder Schriftgelehrte noch Hochschulen, geschweige denn eine adäquate wissenschaftliche Infrastruktur vorfand. Enttäuscht verließ er die Stadt Axim und begab sich in den holländischen Fort Shama, wo er 1784 verstarb.
Amos letzte Lebensjahre werfen ein dunkles Licht nicht nur auf den Humanismus der europäischen Aufklärung, sondern auch auf den Geist der Gemeinschaft und Solidarität in Afrika. So hatte Amo selbst feststellen müssen, dass Rassismus und Kolonialismus das Leben von Schwarzen Menschen weltweit beeinflusste. Dass die überhaupt erste Zeremonie zum Gedenken Amos erst 1965 stattfand, ist vor dem Hintergrund der komplexen deutschen Geschichte nicht verwunderlich. Die Universität in Halle ließ aus diesem Anlass sämtliche aufgefundenen Werke von Amo aus dem Lateinischen ins Deutsche, Englische und Französische parallel übersetzen und veröffentlichen. Amos Dissertation über die Rechte der Schwarzen in Europa aus dem Jahr 1729 bleibt bis heute unauffindbar. Dennoch gehört Anton Wilhelm Amo zu den unsterblichen Pioniergeistern der afrikanischen Diaspora in Deutschland, die kontinuierlich gedacht werden müssen.
Bis zum Ende der Weltausstellung_Reformation sind die Besucher_innen weiterhin eingeladen, Blumen im AFRICAN DIASPORA_PALAST dem temporären Gedenk- und Erinnerungsort Anton Wilhelm Amos niederzulegen.