09 09 17 — 15:59
von Danae Ioannou
Veranstaltungen wie diese Weltausstellung_Reformation 2017 sind stets ein Zusammentreffen von Menschen und deren Kulturen, Ideen, Werten und Überzeugungen. Eine Besonderheit dieser Großveranstaltung ist die Beteiligung zahlreicher Universitäten und Hochschulen, in Form der Gestaltung der, über die ganze Lutherstadt Wittenberg verteilten, von den VeranstalterInnen so benannten, „Tore der Freiheit“. Die Universität Wien wird dabei mit dem Konzept GLASPALÄSTE von einem interdisziplinären Team zwischen Kunst und Wissenschaft repräsentiert. GLASPALÄSTE stellt den Versuch einer Kooperation zwischen Kunst und Soziologie dar, in dem die Leitfragen: „Wieso gibt es Grenzen?“, „Wo sind Ihre Grenzen?“, „Über welche Grenzen würden Sie sehen?“ an die beteiligten ForscherInnen und KünstlerInnen sowie BesucherInnen gestellt werden. Die verschiedenen Antworten werden anschließend von SoziologInnen analysiert und ausgewertet. Durch diese universitäre Mitwirkung ist die soziologische Forschung in die Lutherstadt Wittenberg gelangt.
Doch worum handelt es sich, wenn von Soziologie gesprochen wird? Um zumindest einen Denkanstoß hinsichtlich der Beantwortung dieser komplexen, aber sehr relevanten Frage zu ermöglichen, ist die Vorstellung eines Klassikers unter den zahlreichen Definitionen der Soziologie, nämlich jener Max Webers, ein zielführender Schritt.
„Soziologie […] soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“ 01
Ihre Hauptaufgaben können dabei als die Beobachtung von gesellschaftlichen Phänomenen, deren systematische Beschreibung und schließlich einleuchtende Erklärung definiert werden (vgl. Abels 2009:69). Wichtig ist es hier festzuhalten, dass die Rolle von SoziologInnen darin liegt, Phänomene festzustellen und durch Analyse der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ohne dabei jedoch wertend zu agieren.
Mit der Präsenz von Universitäten und wissenschaftlichen Recherchen stets eng verbunden, sind auch Fragen und Überlegungen zu Ethik und Verantwortung in der soziologischen Forschung. Wie auch beispielsweise in der Religion, gehören sie zu den wohl diskutiertesten, aber auch umstrittensten und daher äußerst relevanten Themenbereichen, weshalb sie in diesem Artikel nicht unerwähnt bleiben sollen. Im Laufe des Projekts GLASPALÄSTE, welches mitsamt der Planungs-, Ausführungs- und nachträglichen Reflexionsphase über drei Jahre gehen wird, sind wir mehrmals auf Fragen zu Ethik und Verantwortung gestoßen, wobei nicht immer Übereinstimmung gefunden wurde. Als anschaulichstes Beispiel wäre hier die Gestaltung des ISTANBUL-
OTTOBRUNN_PALASTS anzuführen, bei dem wir mit dem Ausstieg der Schule aus Istanbul gleich zu Beginn an Grenzen gestoßen sind. Unterschiedliche Ansichten und der unterschiedliche Umgang mit diesem Ausstieg, einmal durch die Palast-Gestalter (Danae Ioannou und Elif Agde), als direkt davon betroffene Soziologinnen, zum anderen durch die Projektleitung und Redaktion, haben zu einer Ausformulierung von Grenzen geführt, welche in einer künstlerisch-gestalterischen Form eines „Projekts im Projekt“ in den ISTANBUL-OTTOBRUNN_PALAST aufgenommen und im Stadtraum von Wittenberg öffentlich sichtbar gemacht wurde.
Das Interessante dieses „Projekts im Projekt“ liegt für mich als Soziologin in der Einführung der BesucherInnen der Weltausstellung in die Existenz verschiedenster forschungsethischer Aspekte und Fragestellungen. Diese beginnen bei der Relevanz, die einem Themenfeld durch die Entscheidung, eine Forschung darüber zu machen, erteilt wird: Wieso wird dieses Thema bzw. diese Fragestellung gewählt? Zu welchem Zweck? Der Ein- und Austritt in ein Forschungsfeld ist mit welchen Verhaltensweisen der ForscherInnen verbunden? Welche Mittel werden eingesetzt? Wie ist die Beziehung zu den beforschten Personen bzw. Institutionen? Welchen (wissenschaftlichen) Kriterien unterliegen das Verfassen und Redigieren der Forschungsbeschreibung und ihrer Ergebnisse? Wo finden sich adäquate Publikationsmöglichkeiten? Und last but not least: Wofür und von wem werden die Forschungsergebnisse verwendet?
Ziel der Integration dieser Fragestellungen in das Projekt GLASPALÄSTE ist es nicht, allgemeingültige Aussagen machen zu wollen, denn eine derartige Herangehensweise würde dem Geist der Soziologie widersprechen. Viel eher geht es darum, im Sinne der oben vorgestellten Leitfragen, die LeserInnen dazu zu animieren, sich mit Ethik, Verantwortung und damit verbundenen Grenzen in Hinblick auf ihren Alltag, auf Religion(en), aber auch die oftmals etwas fern und abstrakt wirkende (Universitäts-)Forschung auseinanderzusetzen.
- Weber 1992; zit. nach Abels, Heinz 2009: 57). Einführung in die Soziologie. Band 1: Der Überblick auf die Gesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften