Von Marina Klimchuk
Wie ein Monument steht er in der Mitte des Wittenberger Arsenalplatz, gefühlt eine halbe Tonne schwer. Für einen Tag den anderen Glaspalästen entrissen, liegt hinter dem REFUGIUM_PALAST eine mühselige Reise zum Arsenalplatz. Um ihn herum häufen sich leere Spraydosen, in der Luft liegt der Geruch von noch nicht getrocknetem Lack. Eine Wand zum Sprayen hatten sich die Wittenberger Jugendlichen gewünscht. Die haben sie nun bekommen. Als der Palast über Nacht am Arsenal stehen bleibt, wird das Werk mit subversiven Parolen vollendet.
Der REFUGIUM_PALAST hat einen Transformationsprozess erfahren. Ursprünglich als statischer Rückzugsort konzipiert und eingemauert inmitten der mobilen Glaskuben, bot er vor dem geschäftigen Treiben der Stadt Schutz. Seine Neugestaltung eröffnet nun neue Perspektiven zum Thema Grenzen. Die Betonhülle wurde zur farbenreichen Projektionsfläche, die nicht nur ein Ausdruck lokaler Graffitikunst und subversiver Jugendparolen ist. Im weiteren Sinne wirft sie Fragen auf, die Relevanz für ein tieferes Verständnis der Weltausstellung_Reformation haben: Wem gehört der Stadtraum von Wittenberg im Zuge der Weltausstellung_Reformation? Gibt es eine Grenze zwischen Festivalisierung und Marginalisierung von bestimmten sozialen Gruppierungen oder kann die Festivalisierung auch eine integrative Funktion haben? Indem GLASPALÄSTE mit dem REFUGIUM_PALAST die Jugendlichen zur Partizipation aufforderte, bot er ihnen – obgleich selbst Teil der Weltausstellung – eine sichtbbare Angriffsfläche auf das Spannungsfeld zwischen der lokalen Lebenswelt und Interessensvertreter_innen der Weltausstellung_Reformation. Die Jugendlichen sind Teil des Stadtraums, marginalisiert und fest in das Stadtbild integriert.
Nach dem amerikanischen Stadtsoziologen Richard Sennett ist der öffentliche Raum gekennzeichnet durch eine prestigefördernde Oberflächengestaltung zur Erlangung von Bewunderung und Anerkennung, durch die Heraushebung gegenüber angrenzenden Räumen und durch die Betonung von emotionalen Erlebnisqualitäten. Darüber hinaus betone der ,,narzisstische Stadtraum” zwar die Offenheit für alle soziale Gruppen, überschätze aber seine sozialen Integrationsqualitäten.
,,Wir sitzen hier am Arse herum, weil wir sonst nirgendwo mehr hindürfen. Von überall hat man uns wegen der Ausstellung verjagt und egal, wo wir hingehen, stören wir nur. Nach einem Jahr wird das alles wieder abgerissen und eigentlich interessiert es wenige hier, welche Bedürfnisse die jungen Menschen in Wittenberg haben”, erzählt Kurt, der während der Woche auf Montage arbeitet. Die nächste legale Fläche für Graffiti sei in Leipzig, lokale Freizeitangebote gebe es kaum. Ob und inwieweit viele Jugendliche die ,,spektakulären Installationen, die die Lutherstadt Wittenberg in eine Erlebniswelt unter freiem Himmel verwandeln”, wie auf der Internetseite der Weltausstellung Reformation beworben, als solche wahrnehmen, ist ihren Erzählungen nicht zu entnehmen.
Im Projekt GLASPALÄSTE haben die Jugendlichen vom Arsenalplatz mit ihrem eigenwilligen Beitrag auf den Wänden des REFUGIUM_PALASTS der Stadt einen Stempel aufgedrückt.
Quellen
Jonas, Uwe; Schumacher, B. (2006): Öffentlicher Stadtraum. Wandel und Okkupation. http://www.okkupation.com/theorie/link_1.htm aufgerufen am 31.7.2017
Tore der Freiheit. Weltausstellung Reformation. https://r2017.org/weltausstellung/ aufgerufen am 31.7.2017